Feuilleton Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.08.2003, Nr. 177, S. 31



Wenn einer eine Reise tut Geldnot, Dynamik und Stadtreparatur:
Frankfurts neuester Hotelbau reißt nicht ab, sondern mit


Unstetigkeit ist das Lebensgefühl unserer Zeit. André Heller, der gerne mit Zirkussen unterwegs ist, hat das schon 1982 in einem Chanson festgehalten: "Menschen wechseln oft das Hemd. Menschen wechseln auch die Menschen. Und man wird einander fremd. Wir sind eben Reisende." Wo ist da Halt? In der Architektur, so antwortet Vittorio Magnago Lampugnani, seit er die beängstigende Beschleunigung unseres "telematischen Zeitalters" mit heutigem Bauen zusammendenkt und folgerichtig Gebäude fordert, die "Inseln im Strom der Zeit" sein sollen. Frankfurt am Main, wo Lampugnani lange Zeit Direktor des Deutschen Architekturmuseums war, neigt dennoch Hellers Fatalismus zu. Mit Messen, Banken und Konzernen eine Durchgangsstadt par excellence, baut sie momentan vorrangig für Reisende. Respektive: Sie läßt bauen. Permanent am Rande des Bankrotts balancierend, zu eigenen Projekten außerstande, setzt Frankfurt auf diejenigen, die noch flüssig sind - Investoren großen Stils. Die wiederum setzen derzeit bevorzugt auf das Übernachtungsgewerbe.

So kommt es, daß sich drei innerstädtische Problemzonen im Zeichen der Hotellerie zu städtebaulichen und architektonischen Glanzstücken wandeln sollen. Das Technische Rathaus nahe dem Römer, ein auf drei monströsen plumpen Turmfüßen stampfendes Mammut des Betonbrutalismus der siebziger Jahre, soll einem Hotel weichen, das in Umfang und Stil ein standesgemäßes Logis für die Gäste eines zur "Kulturmeile" avancierten gründerzeitlichen Straßenzugs zwischen Rathaus und Dom bieten soll. Hinter der Paulskirche möchte man den denkmalgeschützten ehemaligen Bundesrechnungshof, ein schwebeleichtes Juwel der frühen fünfziger Jahre, zum Grandhotel umbauen. Das dritte Vorhaben, ein Hotel am nördlichen Cityrand, ist, anders als die beiden anderen von endlosem Gerangel und Gefeilsche auf der Stelle tretender Unternehmungen verschont, vor einigen Tagen eröffnet worden.

NH-Hotel, ein Kürzel für die "Navarra Hotels" des spanischen Konzerns, heißt der (von der Astron-Hotelkette übernommene) Großbau. Er schließt eine klaffende Wunde im inneren Stadtgefüge. Drei Meister der Verstümmelung hatten an ihr gewirkt. Erst der Zweite Weltkrieg, dessen Bomben dort ein kleinteiliges Altstadtviertel durchlöcherten, dann der Wiederaufbau der fünfziger Jahre, der das Areal zugunsten zweier tosender Verkehrsachsen - der zum "Cityring" avancierten einstigen Wallanlage Bleichstraße und der Radikal-Achse Konrad-Adenauer-Straße - beschnitt. Den beschämenden Rest besorgte die zweite Wiederaufbauphase, die in den siebziger Jahren nach Beseitigung letzter historischer Fragmente mitten auf einer Freifläche einen Betonkoloß der Stadtwerke aufrichtete, halb Silo, halb Bunker - und ganz und gar scheußlich.

Dieses Bollwerk städtebaulicher Stupidität steht noch. Doch ist es nun hinter dem dreigelenkigen Neubau verschwunden, der seinerseits zum einen nostalgische Pläne der postmodernen achtziger Jahre außer Kraft gesetzt hat, die dort Wohnbauten in Gestalt einer neogotisch gegiebelten Hausreihe vorsahen, zum anderen aber auch die nachfolgend avisierte Narretei eines Gefängnisses für das gegenüber gelegene Amtsgericht verhinderte.

Wir sind eben Reisende: Das Architekturbüro KSP Engel & Zimmermann, spezialisiert auf das Erstellen von Großbauten, hat den Bau wie reisefertig gestaltet. Die äußere Form ist der klassischen Moderne der zwanziger Jahre entlehnt, jener Ära, die die Bewegung als gestalterisches Grundprinzip für Architektur und das Hotel als Metapher der Unbehaustheit des einsamen modernen Individuums hervorbrachte. Doch die gleitenden fließenden Formen, die KSP ihrem Hotel gaben, sind nicht schroff wie die Dynamik zum Beispiel Erich Mendelssohns, der in kühnen Kurven und Sprüngen die Panzer und anderen Maschinenwaffen des Ersten Weltkriegs architektonisch nachzeichnete. Derart heftige Bewegungen hätten Gäste abschrecken können. Statt dessen erinnern die elegant gekurvten, glas-stählernen Fensterbänder und schwingenden Fronten des Hotels an jene Reisenden meist weiblichen Geschlechts, die Tamara de Lempicka Ende der zwanziger Jahre als fleischfarben getönte Maschinenmenschen mit melancholischen Augen und blutroten Mündern malte, die eins mit ihren Automobilen und Motorrädern geworden scheinen.

Wie bei Lempicka Chiffon, Mohair oder Samt die stählernen Gliedmaßen, so umschmeicheln bei KSP warmtonige Terrakottafliesen die Konstruktionen. Daß die Schmiegsamkeit dieser Großarchitektur keine hohle Geste ist, erweist sich an der Rückseite, die auf ein schmales Sträßchen namens Elefantengasse trifft. Dem kuriosen Namen entsprechen die Bauten dort - winzige verschachtelte Häuser, zwei davon aus dem sechzehnten Jahrhundert, die als letzter verschwiegener Rest der zerstörten Frankfurter Altstadt gelten dürfen. Ihnen nähert sich der Neubau gleichsam tastend, ist mit gekurvten und zurückgetreppten Fronten dort eher Schutzschild denn Caterpillar.

Neben diesem Zartgefühl wird auch dem Auftrumpfen Platz und Rang zugestanden: An der vorschnellenden Stirnseite mit dem Portal und dem Foyer des Hotels lassen KSP die Hauptfront einrollen und vom gläsernen Vierkant eines Treppenhauses attackieren, dem seinerseits die rechtwinklig anstoßende, stereometrisch gerasterte westliche Seitenfront zu Leibe rückt. In der Großform wiederum schmiegt sich das Ganze in die Kurve der angrenzenden vierspurigen Magistrale. Ein ähnlich dramatisches Spannungsverhältnis zeigen die umlaufenden, nach innen gezogenen Arkaden, die von kompakten, in weiten Abständen positionierten Rundstützen rhythmisiert werden und Passanten vom brüllenden Verkehr der Schnellstraßen abschirmen.

Gelungene Stadtreparatur, ein Bauwerk, das trotz immenser Volumina - zwölftausend Quadratmeter Brutto-Geschoßfläche, 248 Zimmer und acht Suiten sowie zusätzliche Büroetagen - wie mit feinsten Skalpellen in das zerfaserte städtebauliche Gewebe implantiert wurde - da wirkt die Innenausstattung in ihrem Retro-Schick wie ein Fausthieb. Im Foyer und der Bar, wo KSP freie Hand hatten, atmet der Rückgriff auf die sechziger Jahre noch urbanen Übermut. Doch die Zimmer mit cremig-düsteren Wänden und sonor dunklem Mobiliar führen geradewegs zurück in die erstickende Gemütlichkeit der fünfziger Jahre. Bonns Hotel Petershof, wie es einst Adenauers Staatsgäste empfing, scheint wiederauferstanden, und immer erwartet man, in einem der Flure der damaligen "Anstandsdame" Erika Pappritz zu begegnen, die gewiß dafür sorgen würde, daß die enormen Flächen der weiten Fenster mit noch dichteren Stores verhängt würden.

Vielleicht hat in diesem polstrigen Ambiente Lampugnanis Forderung nach bergender Architektur ihre unwissentliche verspießerte Manifestation gefunden. In Gestalt nämlich jenes Urelements der Hotellerie, das Simulation von Stetigkeit und Ruhstatt heißt. Als "gepflegte Umgebung" boten dergleichen Interieurs in den zwanziger Jahren Vicki Baum die Kulissen für ihren traurigen Roman "Menschen im Hotel". Es war die Zeit, als Siegfried Kracauer schrieb, Hotelhallen eröffneten "Stimmungskanonaden" auf die Gäste. Sie müßten zerstreut werden, denn sie befänden sich am Schauplatz "derer, die den Gesuchten weder suchen noch finden". Wir sind eben Reisende.

DIETER BARTETZKO

Bildunterschrift: Es braust das Blech mit Donnerhall: Mitten im Verkehrsgetöse der Frankfurter City greift ein Hotelbau die Dynamik ringsum auf und überführt sie in geballte Ruhe.

Foto Frank Röth Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main